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Elektrifizierung der Schizophrenie

Muskeln werden durch Stromimpulse aus der Ferne kontrahiert, die Milz von Gamma-Strahlen geschädigt, Schleimhäute elektrisiert und Worte über Wellen eingespeist: Derart geplagt fragen sich Betroffene nach dem unsichtbaren Feind, seinem Motiv und seinen Mitteln. Psychopathologisch erkennt man in diesen Beschwerden typisch schizophrene Symptome: etwa Phänomene des „Gemachtwerdens“, der Leibeshalluzination bis zum Stimmenhören. Mit der Entdeckung elektrischer Ströme, der Verkabelung der Städte, der Kontinente, Erfindungen wie dem Telegraphen, kommt es zu einer „Elektrifizierung“ der Schizophrenie, der wir im Seminar psychiatriehistorisch und kasuistisch nachgehen wollen: Elektrifizierung zum einen im technischen Erklärungswahn, aber auch in medizinischen Techniken der Diagnostik (EEG) und Behandlung (Elektrokrampftherapie).

Wenn Betroffene in der schizophrenen Krise sagen, dass sie „unter Strom“ stehen, ist das keine bloße Metapher. Therapeutisch kann man versuchen, solche eingefleischten Konkretismen psychodynamisch in Fluss zu bekommen und mit dem Patienten zu verstehen, wo dieses verstörende Erleben herkommt, ob grenzüberschreitende Erfahrungen, Phantasien sich hier Ausdruck verschaffen. Wo Konkretismus war, kann Metapher werden.